Aus dem griechischen Begriff „dia-logos“ lässt sich das Bild ableiten: Durch das Wort, durch den Sinngehalt hindurchfließen. Folgend finden Sie Beiträge zur freien Beschäftigung rund um das Thema Dialog.

Dialog will dazu beitragen, dass Menschen gemeinsam denken.

gemeinsam denken
von Anna Jäger · 


Was ist das Wesen des Dialogs? Aus dem griechischen Begriff „dia-logos“ lässt sich das Bild ableiten: Durch das Wort, durch den Sinngehalt hindurchfließen. Dialog unterscheidet sich von „Diskussion“, dem Zerlegen von Dingen, dem Analysieren: „Das ist natürlich nützlich, aber hat seine Grenzen dort, wo wir über die Verschiedenheit unserer Standpunkte hinausgehen wollen. Diskussion ist fast wie ein Tischtennisspiel, bei dem man die Ideen hin- und her schlägt und damit versucht, zu gewinnen oder Punkte für sich selbst zu sammeln“ (Mandl, S. 34). Dialog will dazu beitragen, dass Menschen gemeinsam denken. Dialog will anstelle einer Sieger-Verlierer-Mentalität, dass alle Beteiligten einen Gewinn haben. „Sich auf eine Reise des Denkens zu machen… festgefahrene Kommunikationsstrukturen zu verflüssigen“ (Beuke-Galm, S. 22) – das sehen wir als lohnendes Ziel unserer Arbeit an.

Es scheint einfacher, wenn man einen Gegner hat – Mit Dialog gemeinsam Denken lernen

Artikel gemeinsam denken
von Dr. Alexander Myhsok und Anna Jäger · 


Es scheint einfacher, wenn man einen Gegner hat – Mit Dialog gemeinsam Denken lernen

Beitrag in: pax_zeit 3_2020, S. 12/13

Von Dialog ist heute oft die Rede, wenn es um kommunikatives Verhalten geht. Immer wieder hören wir: „Wir führen einen Dialog.“ Das klingt gut. Doch wenn wir genauer hinschauen, erkennen wir: Gespräche zielen oft darauf ab, dass jeder Recht hat: Meinungen prallen aufeinander, jeder will sich durchsetzen, die Energie geht in ein Gegeneinander statt in ein gemeinsames Weiterdenken.

Die Notwendigkeit, echten Dialog einzuüben, nimmt auf der anderen Seite zu. Immer mehr Menschen im gesellschaftlichen und politischen Raum, in Unternehmen oder Non-Profit-Organisationen und Verbänden nehmen Kommunikation – vom Einzelgespräch über Meetings bis hin zu Aktionsgruppen – als verlorene Zeit und vergeudete Energie wahr. Sie suchen nach einer Gesprächsform, in der es keine Sieger-Verlierer-Dynamik gibt, in der sich durch gemeinsame Denkprozesse neue Horizonte erschließen. Eine spezifische Form des Dialogs, die auf diese Grundhaltung abzielt, geht zunächst auf den Philosophen Martin Buber zurück. Der amerikanische Physiker und Philosoph David Bohm hat die Gedanken Bubers aufgegriffen und neu aufbereitet.

Was ist das Wesen dieses Dialogs?

Das Wesen des Dialogs wird durch die Unterscheidung von der Diskussion klar. Diskutieren bedeutet im eigentlichen Wortsinn: „zerteilen, zerlegen“. Diskussion ist fast wie ein Tischtennisspiel, bei dem man die Ideen, die Bälle, hin- und her schlägt und damit versucht, zu gewinnen oder Punkte für sich zu sammeln. Diese Gesprächsform hat ihre Grenzen dort, wo wir über die Verschiedenartigkeit unserer Standpunkte hinausgehen wollen.

Hier setzt der Dialog an: Er will anstelle einer Sieger-Verlierer-Mentalität, dass alle Beteiligte einen Gewinn haben, sich auf eine Reise des Denkens machen, festgefahrenes Kommunikationsverhalten auflösen,

Buber hat in seiner uns heute etwas fremd anmutenden, aber berührenden Ausdrucksweise Voraussetzungen für den Dialog formuliert, die hier kurz angedeutet werden:

  • Die Bereitschaft zu einem echten Gespräch: „Im echten Gespräch geschieht die Hinwendung zum/zur Partnerin in aller Wahrheit.“ Das bedeutet: Ich nehme mein Gegenüber als Partnerin, als Gegenüber an, sage ja zu ihm/ihr, zu seinem/ihrem Denken, Fühlen, Wahrnehmen, zu seinem/ ihrem Sein.
  • Rückhaltlos sprechen, sich selbst unverkürzt einbringen – nicht zu verwechseln mit drauflosreden.
  • Dazu gesellt sich nach Buber die „Überwindung des Scheins“: „Schein wäre, wenn ich statt des zu Sagenden mich anschicke, ein zur Geltung kommendes Ich in den Mittelpunkt zu stellen“.

Martina und Johannes F. Hartkemeyer und L. Freeman Dhority haben Kernfähigkeiten herausgearbeitet, die den Dialog nach Buber/Bohm kennzeichnen.

Die Haltung eines Lernenden einnehmen

Sie erfordert Offenheit, Anfängergeist und die Bereitschaft, sich einzugestehen, dass ich in Wirklichkeit nichts weiß. Damit bin ich bereit, alte Denk- und Verhaltensmuster infrage zu stellen.

Radikaler Respekt

Ich achte dich und deinen Blick auf die Welt. Ich versuche auch, die Welt aus deiner Perspektive zu sehen.

Offenheit

Sie entsteht, „wenn zwei oder mehrere Personen bereit sind, sich voreinander von ihren eigenen Überzeugungen zu lösen, dadurch bereit sind, einander die eigene Denkweise mitzuteilen und offen zu sein dafür, dass der andere mich in meinem Denken beeinflussen kann“ (Bohm). Offenheit schließt Zuhören mit ein: mitfühlendes, mitgehendes Zuhören. Das meint bei meinem/r Gesprächspartnerin auf die tiefere Bedeutung der Worte zu horchen.

Von Herzen sprechen

Ich rede von dem, was mir wirklich wichtig ist, was mich wesentlich angeht. Ich rede nicht, um mich bemerkbar zu machen, um rhetorisch zu brillieren und vor allem nicht, um im Buber’schen Sinn zu scheinen. Dabei stelle ich auch meine Ängste, Sorgen zur Verfügung, teile meine Freuden mit.

Annahmen und Bewertungen offenlegen und produktiv plädieren

Sie als solche benennen und in der Schwebe zu halten, im Sinne von: „Das ist es, was ich gerade denke, aber ich könnte mich auch irren.“ Das führt zum produktiven Plädieren, bei dem ich meine Annahmen und Vorurteile offenlege, auch Zweifel benenne, mitteile, wo ich Bewertungen habe und dazu andere an meinem Denkprozess teilhaben lasse.

Verlangsamen

Zentrales Element ist, Kommunikation zu verlangsamen und dadurch die Qualität des Hörens, des Nachklingenlassens zu erleben. Symbolisch drückt sich dies mit der Verwendung eines Redesteins oder Redestabs aus. Nimmt ein Teilnehmer, eine Teilnehmerin den Stab oder Stein, ist er/sie berechtigt zu sprechen. Beendet er/sie den Beitrag, wird der Stab oder Stein wieder zurückgelegt. Dadurch entsteht Schweigen und Nachklingenlassen des Gesagten.

Einige Anwendungsgebiete des Dialogs:

Dialog kann stattfinden in sich regelmäßig oder unregelmäßigtreffenden Dialoggruppen mit oder ohne vorher festgelegtemThema.

  • Unternehmen und Organisationen, die auf eine andere Kultur der Kommunikation wertlegen, sind in der Zwischenzeit dazu übergegangen, sogenannte „schöpferische Dialoge“ einzuführen, als Teil, oder auch als Ersatz von Meetings.
  • Eine größere Verbreitung hat der Dialog im Bereich der Organisationsentwicklung (Peter Senge: Die fünfte Disziplin) erfahren.
  • Im politischen Bereich hat ein Dialogprozess in Tunesien zu einer politischen Lösung geführt, die mit der Verleihung des Friedensnobelpreises 2015 an das Dialog-Quartett ausgezeichnet wurde.

Der Dialog kann auch bei allen „normalen“ Gesprächen, Beratungen, Meetings praktiziert werden. Hier sehen wir auch einen Ansatz in den pax christi-Gruppen und in der pax christi-Arbeit insgesamt.

So gelingt Kommunikation – Im Dialog zu gemeinsamen Lösungen kommen

Artikel gemeinsam denken
von Anna Jäger · 


So gelingt Kommunikation – Im Dialog zu gemeinsamen Lösungen kommen

Ein Interview, das Anna Jäger mit der Zeitschrift »Anstifter« geführt hat.

Der Anstifter ist ein Magazin der Stiftung Liebenau, das u.a. die 8000 Mitarbeiter erhalten.

.

Mit Worten, mit Gesten, mit unserem Körper: Wir kommunizieren immer. Aber nicht immer verstehen wir uns richtig. Im Gegenteil: Ob auf dem Schulhof, in der Politik, in den sozialen Medien: Kommunikation dient häufig eher der Abgrenzung. Wie Kommunikation zur Verständigung führt, erläutert Anna Jäger. Die Diplompädagogin und Transaktionsanalytische Beraterin arbeitet seit über 20 Jahren freiberuflich im Bereich Kommunikation, Führungskräfteschulung und -beratung in Zusammenarbeit mit ihrem Partner Dr. Alexander Myhsok im dialogos team.

Frau Jäger, was ist gelingende Kommunikation?

Seit Ende des 20. Jahrhunderts erleben wir bei uns eine zunehmende Individualisierung. Eine der Auswirkungen ist, dass jeder seine, jede ihre Wirklichkeit konstruiert. Das Kunststück ist, im Beruf und auch im Alltag trotzdem zu Gemeinsamkeiten zu kommen im Denken, Fühlen, Handeln. Das läuft wesentlich über Kommunikation. Und die gelingt unter anderem, wenn wir uns offen einbringen, bereit sind, uns auf ein Gegenüber einzulassen und gemeinsame Lösungen zu finden. Gelingende Kommunikation hängt also davon ab, dass Menschen überhaupt in Beziehung gehen können und vor allem: dass sie Unterschiedlichkeit als Bereicherung ansehen und nicht als Angriff oder als Kampfansage.

Wird dafür heute etwas anderes gebraucht als früher? Und woran liegt das?

Ja, heute wird dafür etwas anderes gebraucht. Die Betonung des „Ich“, gefördert durch eine zunehmende Individualisierung, trägt in sich immer eine Gefahr der Verhärtung. Ich mache es deutlich an dem Unterschied zwischen „Diskussion“ und „Dialog“. In der Diskussion (im Wort steckt: Analysieren, Zerlegen, Zerschneiden) geht es letztlich darum, sich durchzusetzen. Das führt zu Siegern und Verlierern und zur Verhärtung letztlich auf beiden Seiten. Der Dialog (nach David Bohm und Martin Buber) will zu einem gemeinsamen Denken führen, leitet einen Suchprozess ein und führt zu gemeinsamen Lösungen. Der Dialog berücksichtigt damit auch, was Menschen heute suchen: auf Augenhöhe mit dem anderen sein, sogar in hierarchischen Beziehungen.

Wie lernt man, „richtig“ zu kommunizieren?

Über Reflexion! Kommunikation gehört zum Alltagswissen, und das erwerben wir (zwischen 90 und 98 Prozent) im Alltag, in der Familie, von Eltern und Vorgesetzten, Lehrern, Kollegen. Manchmal spüren wir dann selber in oder nach einem Gespräch: „Das war nicht so toll.“ Wir bekommen eine Rückmeldung oder wir holen sie uns. Es kommt also zunächst auf die Einsicht an, dann auf die Reflexion. Und dann können wir uns noch zusätzlich qualifizieren über so genanntes organisiertes Lernen, wie es die Akademie Schloss Liebenau anbietet. In dieser spezifischen Lernform geht es dann darum, dass vorhandenes, tiefsitzendes Alltagswissen in der Kommunikation in Bewegung gebracht wird. „Störe meine Denke!“ Das ist ein Ansatz, den wir heute umsetzen. Das allerdings wieder in der wertschätzenden, sich auf Augenhöhe befindlichen Rückmeldung, ohne Sieger- und Verlierermentalität. Grundlage für die Erhaltung der Wertschätzung ist für mich die Grundposition der Transaktionsanalyse: „Ich bin o.k. – du bist o.k.“ Sie meint, sich selbst zu achten und wertzuschätzen und ebenso das Gegenüber. Aus dieser Haltung heraus kann ich leichter mit einem Gegenüber sprechen.

Sie arbeiten mit Menschen aus verschiedenen Branchen und unterschiedlichen Generationen. Gibt es Unterschiede im Kommunikationsverhalten?

In eher „praktischen“ Berufen ist die Kommunikation direkter, sachbezogener, weniger „empfindlich“. Sie dient dem Sachprodukt. Im Sozial- und Bildungsbereich ist Kommunikation und sind kommunikative Fähigkeiten oft schon das „Produkt“. Es steht im Umgang mit der Klientel mehr im Zentrum, wird auch mehr beobachtet und ist deshalb auch ein explizites Thema. Und weil es mit der jeweiligen Person, die kommuniziert, direkt zu tun hat, ist es auch ein sensibles Thema. Rückmeldung wird dann oft als Kritik aufgefasst. Zum unterschiedlichen Kommunikationsverhalten von Jung und Alt greife ich beispielhaft die „Generation Y“ heraus, jetzt im Alter etwa von 25 bis 30 Jahren. Verallgemeinert gesprochen, ist sie im Gegensatz zu früheren Generationen geprägt von weniger Hierarchie-Erfahrung. Mama und Papa haben die Kinder schon früh in Entscheidungen einbezogen, Lehrer kamen aus der 68-er Generation. Und sie haben auch viel Rückmeldung, insbesondere positive Bestätigung, erhalten. Diese Generation geht unbefangener mit Vorgesetzten um, und sie will Rückmeldung, offene Rückmeldung und das oft. Sie ist in der Kommunikation direkter, und das alles unterscheidet sie von den früheren Generationen.

In der sozialen Arbeit kommunizieren wir häufig mit Menschen, deren Verständigungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Kann man die Grundsätze gelingender Kommunikation darauf übertragen?

Ja – unbedingt! Nehmen wir einige Kernkompetenzen im dialogischen Verhalten, zum Beispiel: Zuhören, ohne gleich eine Antwort zurechtzulegen; die Kommunikation verlangsamen; offen sein; von sich und von Herzen sprechen. Das sind Grundsätze für eine gelingende Kommunikation mit Menschen, ob mit oder ohne geistige Behinderungen. Die vorher genannte o.k.-Haltung sollte ich allen Menschen gegenüber als Grundhaltung leben. Je nach Verständigungsmöglichkeit kommuniziere ich das, was zwischen uns gut oder schwierig, störend ist oder einfach auch nicht geht, offen und direkt. Basis ist eine annehmende, liebende Haltung – ohne sich selbst aus dem Blick zu verlieren. Und die ist bei Menschen mit Einschränkungen mehr und auch direkter gefordert.

Verändert die digitale Kommunikation etwas? Und wenn ja, in welche Richtung?

Ich mache überraschenderweise gute Erfahrung mit digitalen Medien. Voraussetzung ist jedoch, dass wir uns bereits kennen und einen Stil der Zusammenarbeit gefunden haben auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen. Zwischentöne und versteckte Botschaften werden allerdings weniger schnell wahrgenommen. Das Funktionale steht im Vordergrund. Oberflächlich gesehen, erleichtert das die Kommunikation. Jedoch: Aussagen wirken nach und hinterlassen oft einen bitteren Geschmack. Dann gilt es wieder, dies offen anzusprechen.